Brauchen wir noch mehr Verbote?

“Ich will Verbote!” forderte neulich ein hochintellektueller, vor weinerlicher Selbstkritik nur so strotzenden Artikel aus der ZEIT (http://www.zeit.de/2017/07/konsumverhalten-nachhaltigkeit-vernunft-verschwendung-bequemlichkeit). 

Aber wozu braucht unsere Gesellschaft noch mehr Verbote? Haben wir nicht schon genug? Machen die überhaupt alle Sinn? In Potsdam ist es zum Beispiel verboten, einen Chihuahua ohne Maulkorb in öffentlichen Verkehrsmitteln mitzunehmen. Wegen der Vogelgrippe ist es mir seit drei Wochen verboten, meine Katzen rauszulassen, obwohl nicht eindeutig wissenschaftlich bewiesen ist, dass Katzen oder Hunde das H5N8-Virus übertragen – oder wie die Übertragung generell funktioniert. Hauptsache, man hat eine Gängel-Verordnung rausgehauen, um das eigene Gewissen zu beruhigen, weil man nicht die Eier hat, dem ursächlichen Problem auf den Grund zu gehen. Millionen Enten, Hühner und Gänse werden in qualvoller Massen-Tierhaltung zusammengepfercht, sind geschwächt und dementsprechend anfällig für Krankheiten wie die Vogelgrippe (die von mehreren Millionen Wild- und Zugvögeln bisher nur ein paar Hundert erledigt hat, falls das irgendjemandem aufgefallen sein sollte). Trotzdem wird mit dem Finger auf Wildvögel und Katzen gezeigt, während in den Mastställen die Seuche unvermindert weiter grassiert und verseuchter Hühnermist auf die Felder gekippt wird. Aber um sich mit der massentierhaltenden Geflügelindustrie anzulegen, sind unsere Politiker offensichtlich zu bequem.

Genau darum geht es in diesem Artikel – Bequemlichkeit. Der Autor – ich lasse jetzt meinen Vorurteilen frei Lauf – wahrscheinlich öko-linker Hipster in einer post-pubertären Sinnkrise, maximal 29 Jahre alt, hofft heimlich auf eine Stelle als Senior-Praktikant in der Lifestyle-Redaktion und würde sich am liebsten selbst auspeitschen, weil er ausnahmsweise einen Plastik-verpackten Fertigsalat mit einer Plastik-Gabel gemampft hat. Davor war es – Oh mein Gott! – eine Currywurst in der Kantine. Ich denke daran, was ich heute in der Kantine gegessen habe, und müsste mich jetzt eigentlich selber durch den Fleischwolf drehen, weil ich mir kein selbst gekochtes Bio-Essen mitgebracht habe. Leider habe ich dazu keine Lust ;).

Denn während unser Weltschmerz-geplagter Nachwuchs-Autor die Bequemlichkeit von Otto-Normalverbraucher anprangert, weil der sich jeden Tag seine plastik-verpackte Mikrowellen-Suppe reinschüttet, erwähnt er die eigentlichen Verursacher des westlichen Konsumterrors mit keinem einzigen Wort. Kein Wunder, es ist ja auch bequemer, dem Bürger Verbote aufzudrücken, als einem global operierenden Konzern.

In einem Punkt gehe ich allerdings mit: es gibt eindeutig zu viel Müll auf der Welt. Auch geistigen – und dazu zählt für mich dieser Artikel.

“Liebe Angela Merkel, lieber Staat, liebe EU, liebe Weltregierung, ich fordere euch hiermit auf: Verbietet mir, was ich gerne haben möchte, aber besser nicht haben sollte …” Ja, sind wir denn Babys, dass man uns das Denken abnehmen muss, weil wir keine eigenen Entscheidungen treffen können? Und wer soll sie dann für uns treffen? Politiker, die mitverantwortlich sind, dass tonnenweise Lebensmittel weggeschmissen werden, weil sie irgendwelchen schwachsinnigen EU-Normen nicht entsprechen? Politiker, die fragwürdige Gesetze wie die Geflügelpest-Verordnung erlassen, wodurch hunderttausende Enten, Gänse und Hühner sinnlos geschlachtet werden? Oder “schlaue” Leute wie dieser Autor?

“Macht Ökostrom zur Pflicht!”, fordert er. Jawoll, die Vögel, die durch Windräder geschreddert werden, die Fische, die das Abwasser aus chinesischen Solarzellen-Fabriken schlucken dürfen und die Pflanzen, die für sogenannten Biosprit zermatscht werden, freuen sich jetzt schon.

Ich streite nicht ab, dass die meisten Menschen faule, bequeme Kreaturen sind und wir Konsumenten mehr Verantwortung übernehmen sollten. Aber das Hauptproblem ist m.E. nicht der Endkonsument, der mal aus Bequemlichkeit einen fertig verpackten Salat oder Coffee to Go mitnimmt – sondern die Konzerne, die so etwas überhaupt herstellen. Oder hat irgendjemand Kaffeekapseln vermisst, bevor sie von Senseo auf den Markt geschmissen wurden? Hat sich irgendjemand einzeln verpackte Schoko-Pralinen gewünscht?

Wer nicht ausschließlich beim Bio-Bauern um die Ecke kauft, kann (Plastik)-Müll leider kaum vermeiden – selbst wenn man es möchte. Ich finde das auch scheiße und ich trenne meinen Müll, weil es mir wenigstens ein bisschen gutes Gefühl gibt, was für die Umwelt getan zu haben. Ob wohl ich mal gehört habe, dass dieser sorgfältig getrennte Müll am Ende auch nur zusammengekippt und verbrannt wird 🙁. Mir wäre es viel lieber, ich hätte gar keinen Müll zum trennen. Meine Mutter ist noch mit dem Einkaufnetz und der Milchkanne in den nächsten Tante-Emma-Laden gegangen, Wurst und Käse wurden in Papier und alten Zeitungen verpackt. Geht doch auch! Wenn die Supermärkte keine Plastiktüten, sondern nur noch Stoffbeutel anbieten würden, gebe es schon viel weniger Plastikmüll, ohne dass man die Kunden gängeln müsste. Wenn der Konsum nicht ständig durch aggressive Werbung, “Sollbruchstellen” in technischen Geräten etc. künstlich angeheizt würde, käme niemand auf die Idee, irgendwas zu kaufen, was er gar nicht braucht oder WIRKLICH haben will.

Natürlich wäre es für Tiere und Umwelt besser, wenn wir weniger Fleisch essen. Aber selbst Vegatarier und Veganer haben keinen Grund, sich moralisch aufs hohe Ross zu setzen, angesichts der vielen Kleintiere, die auf Getreide- oder Gemüse-Feldern durch Entemaschinen und Pestizide gekillt werden.

Das Schlimme ist: Wir haben heutzutage kaum noch die Möglichkeit, ethisch zu konsumieren. Irgendein menschen- oder tierfeindlich hergestellter Dreck schleicht sich immer dazwischen – und meistens bemerken wir es nicht einmal. Wir beruhigen unser Gewissen mit Fair gehandeltem Bio-Kaffee, den wir in der Büro-Kaffeemaschine kochen, wovon zumindest Einzelteile in China hergestellt wurden, während der Strom aus dem Atomkraftwerk kommt.

Das soll jetzt kein Aufruf sein, weiterhin jeden Mist zu konsumieren und sich mit Fleisch aus Massentierhaltung vollzustopfen, weil wir ja sowieso nix ändern können. Der Boykott bestimmter Produkte wie Billig-Kaffee oder Plastiktüten ist sicherlich ein Anfang – aber erst mal nur ein Tropfen auf den heißen Stein. Damit können wir symbolische Zeichen setzen, die vielleicht irgendwann was bewirken, wenn genug Leute mitmachen. Wären Einwegbecher, Plastik-Gabeln, Kaffeekapseln und zu viel Autoverkehr unsere einzigen Probleme, könnten wir mit einem bewussteren Konsumverhalten tatsächlich die Welt retten.

Ein weitaus schlimmeres Übel dürfte jedoch die umweltzerstörende Billigproduktion im Ausland sein. Aber um die zu boykottieren und statt dessen was Hochwertiges zu kaufen, braucht man erst mal das nötige Kleingeld. Nachhaltigkeit, wenn man sie ernsthaft leben will, ist ein Luxus. Erzählt mal einem Hartz-IV-Empfänger oder Geringverdiener, dass er seine Klamotten nicht bei Kik kaufen darf, weil die von Kindern in Bangladesh zusammen getackert werden, nachdem man ein paar Hektar Regelwald für die Baumwolle abgeholzt hat. Er wird sagen: “Dann sorgt erst mal dafür, dass ich nicht mehr jeden Cent umdrehen muss.”

Außerdem habe ich mir auch schon teure, vermeintlich hochwertige Klamotten geleistet, die trotzdem nach spätestens fünf Jahren auseinander gefallen sind. Muss doch nicht sein – Omas Trachten wurden sogar an die nächsten Generationen vererbt!

Da sind sie wieder, unsere drei Probleme:

  1. Künstlich angeheizter Konsum;
  2. Die Schere zwischen Arm und Reich, die verhindert, dass ein Großteil der Menschen sich fair gehandeltes Bio-Zeug überhaupt leisten kann;
  3. Konzerne verkaufen uns Müll.

Mit einem Wort: Kapitalismus.

Wirtschaft – auch soziale Markwirtschaft – kann durchaus mit weniger Konsum funktionieren. Globaler Kapitalismus nicht. Deshalb besteht der einzige Weg, diesen Planeten zu retten, nicht in kleinlichen Verboten – sondern darin, Kapitalismus und sinnloses Wachstum einzudämmen.

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